Thema

Das Thema der Jahrestagung 2023 der Sektion Organisationspädagogik lautet: Organisation und Innovation.

Der Begriff der Innovation adressiert die Dimension des Neuen. Innovation grenzt sich von Vorhandenem ab. Innovation setzt Generierung, Übersetzung und Anwendung neuen Wissens und damit Handlungspraktiken des Wissensmanagements voraus. Voraussetzungen für Innovation sind Kreativität und Offenheit im individuellen und kollektiven organisationalen Kontext. In Organisationen ist Innovation daher untrennbar mit organisationalem Lernen verknüpft. Innovationen in Organisationen sind nicht zuletzt (organisations-)pädagogische Prozesse.

Innovationen können sich in Organisationen auf die Erneuerung von Aufgaben, Inhalten oder Programmen, von Personen oder Prozessen der Organisation selbst beziehen. Sowohl die Ebene des Gesellschaftssystems (Makroebene), die Ebene der Organisation (Mesoebene) oder die Ebene der sozialen Interaktion (Mikroebene) können dabei als Bezugspunkte fungieren. Als organisationale Lernprozesse können Innovationen das Ergebnis sowohl (1) gezielter und geplanter als auch (2) emergenter Prozesse sein.

Strukturanalog zu unterschiedlichen Ebenen organisationalen Lernens kann zwischen unterschiedlichen Innovationsgraden, insbesondere disruptiven und erhaltenden oder inkrementellen und radikalen Innovationen unterschieden werden. Daraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass Innovationen Lernprozesse voraussetzen. Diese können durch pädagogische Prozesse der Lernunterstützung gefördert werden.

Das Repertoire gezielter und geplanter Prozesse reicht hier von Formen der Organisationsentwicklung wie z.B. des ‚Change Management‘ über Konzepte ‚Lernender Organisation‘ bis hin zu Ansätzen des ‚Innovationsmanagements‘. Die kontinuierliche Entwicklung von technischen, sozialen oder ökonomischen Innovationen gilt als zentrale Aufgabe von Organisationen unter Wettbewerbsbedingungen, u.a. um ihr ökonomisches Überleben zu sichern. Im besten Fall werden Innovationsprozesse aber von Neugier, Kreativität und Lust auf Erneuerung gespeist und führen zu neuen Erkenntnissen oder Lösungswegen bzw. Lösungen. Ungeplante und emergente Innovationsprozesse werden u.a. im Zusammenhang mit der evolutionären Entwicklung von Organisationen oder als Ergebnis von Anpassungen an krisenhafte Umwelten untersucht. Dies hat sich in eindringlicher Weise anhand der pandemischen Situation der vergangenen zwei Jahre gezeigt, von der nicht zuletzt der Bildungsbereich in besonderer Weise betroffen war.

Daraus resultiert insbesondere die Frage, wie sowohl intentional angestoßene Veränderungsprozesse als auch unvermittelt notwendig werdende Krisenbewältigungsstrategien für eine zeitgemäße Lern- und Organisationsgestaltung genutzt werden können. Die Fruchtbarmachung von Innovationsprozessen in Organisationen ist dabei auf Planung, Kontrolle und Emergenz als Form und Effekt organisationaler Verfasstheit verwiesen: Organisationale Strukturen sind auf die Sicherung von Ergebnisqualität, auf Routinen, die Verlässlichkeit von Prozessen und die Erwartbarkeit von Ergebnissen ausgelegt. Innovationen aber verlangen nach Unterbrechung von Routinen, beinhalten unerwartete Ergebnisse, bedürfen der Risikobereitschaft und einer gewissen Fehlertoleranz. Ihrem Charakter nach sind sie deviant i.S. der Abweichung von üblichen Prozessen der Organisation. Nicht zuletzt diese Spannung macht die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Innovation aus organisationspädagogischer Perspektive so interessant.

Anschlussfähig ist hier beispielsweise ein organisationspädagogisches Interesse an Formen der Emergenz sowie der geplanten Unterstützung von Innovationen in, von und zwischen Organisationen. In Ergänzung zur Untersuchung emergenter Hervorbringung von Innovationen gilt das Interesse geplanten Formen organisationaler Unterstützung von Innovationsentwicklung. Hierzu gehören organisationale Prozesse des Innovationsmanagements, die Einrichtung besonderer Strukturen, Praktiken der Innovationsentwicklung oder auch die organisationale Verbreitung von Handlungsmethoden zur Innovationsförderung. Als Formen geplanter organisationaler Unterstützung zur Innovationsentwicklung sind diese zwar in der Privatwirtschaft zwischenzeitlich weit verbreitet, im Bildungs- und Sozialbereich jedoch noch in einer frühen Entwicklungs- und Verbreitungsphase. Die Planung entsprechender Unterstützungsmaßnahmen kann dabei zum einen top down durch politische Veränderungen veranlasst sein. Zum anderen können Visionen für die Zukunft der Bildung mit entsprechenden innovativen Projekten und Initiativen durch verschiedene Akteur*innen aus Bildungspolitik, -praxis und Wissenschaft bottom up auf den Weg gebracht werden.

Innovationsprozesse in Organisationen sind mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert, die den Prozess entweder verlangsamen oder sogar zum Erliegen bringen können. Dazu gehören einerseits Widerstände und Trägheit der Organisation oder deren Mitglieder, andererseits externe Faktoren wie beispielsweise soziokulturelle Normen und Werte. Daher sollen neben den Aspekten der Emergenz und Förderung im Weiteren auch Hindernisse, Blockaden und Widerstände bis hin zum Scheitern von Innovationsprozessen adressiert werden. Im Hinblick auf Rolle, Funktion(en) und Bedeutung von Organisationen als zentralen Trägern des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels gilt es, diese Denk- und Handlungsperspektiven kritisch zu diskutieren, empirisch zu belegen und konzeptionell weiterzuentwickeln.

Innovationen lassen sich in Organisationen deshalb in vielfältiger Weise analysieren und diskutieren: Anknüpfungspunkt können Gegenstand und Beschaffenheit von Innovationen sein, die Rahmenbedingungen der Organisation sowie deren Wechselspiel. Insbesondere ist eine kulturphänomenologische Betrachtungsweise interessant, die über Strukturen und Prozesse hinausgeht und weitere, der Organisation in ihrer Grammatik innewohnende Wirkungszusammenhänge identifiziert. Zudem können sie untersucht werden hinsichtlich impliziter und expliziter Strategien des Organisationsmanagements. Innovation sind an Ressourcen gebunden: zeitliche Ressourcen, Ausstattungen, insbesondere in personeller und sächlicher Form, damit geht es um Kompetenzen, Motivation und Fragen von Professionalität und Professionalisierung bei den Akteuren der Organisation. Innovation ist auch abhängig vom Umfeld der Organisation.

Die Struktur der Tagung sieht die Bearbeitung des Themas Organisation und Innovation zu folgenden Schwerpunkten vor:

  1. Theoretische Verhältnisbestimmungen von Organisation und Innovation.
    Hier werden grundlegende pädagogische und interdisziplinäre Beiträge gesammelt, die sich mit der Konzeptualisierung von Organisation und Innovation aus organisationspädagogischer und weiterer subdisziplinärer bzw. interdisziplinärer Perspektive auseinandersetzen. Dabei stehen auch Soziale Innovationen im Fokus, da ihnen in pädagogischen Organisationen und Organisationen der Hilfe eine besondere Bedeutung zukommt.
  2. Empirische und vergleichende Untersuchungen zum Verhältnis von Organisation und Innovation, insbesondere in Hinblick auf Erfolg und Scheitern. Im Fokus stehen hier aktuelle methodologische Strategien und Zugänge von empirischen und vergleichenden Untersuchungen zum Verhältnis von Organisation und Innovation. Dabei soll besonders empirischen Arbeiten Raum gegeben werden, die sich mit Erfolg und Scheitern von Innovationsprozessen in Organisationen beschäftigen.
  3. Historische Untersuchungen zum Verhältnis von Organisation und Innovation. Unter dieser Perspektive soll thematisiert werden, welche historisch und gesellschaftlich relevanten Ereignisse prägend waren für organisationales Lernen und Innovationen. Zudem sind hier auch Visionen zukünftiger Entwicklungen von Organisationen von Interesse. Zudem sind Untersuchungen willkommen, die einen Analysefokus auf Erfolg und Scheitern organisationaler Innovation legen. Der Umgang mit und die Bewältigung von Krise(n) kann hierbei einen Schwerpunkt bilden.
  4. Innovation (in) der pädagogischen Organisationsforschung. Hier besteht die Möglichkeit, Innovationen sowie Strategien des Innovierens im Forschungsbereich pädagogischer Organisationsforschung zu präsentieren. Dabei interessiert beispielsweise, welche Forschungsdesign für die Untersuchung von Erfolg und Scheitern von Innovationen oder den Einfluss von Emergenz und Planung auf Innovationsprozesse entwickelt werden. Darüber hinaus interessieren hier Forschungsdesigns und -ergebnisse, die sich mit der Besonderheit von Innovationsprozessen in pädagogischen Organisationen beschäftigen. Hierbei kann das Konzept Sozialer Innovationen zur Klärung dieser Besonderheiten beitragen.
  5. Organisation und Innovation im Spannungsfeld des Forschungs-Praxis-Transfers. In letzter Zeit werden einerseits verstärkt Erwartungen des Transfers wissenschaftlichen Wissens in die organisationale Innovationspraxis artikuliert. Andererseits suchen Organisationen Kontakt zu Forscher*innen, um sich von ihnen bei aktuellen Fragestellungen oder handlungsmethodischen Zugängen wissenschaftlich begleiten zu lassen. Hier stellen sich vor allem Fragen der wechselseitigen Anschlussfähigkeit, die hier diskutiert werden können. In diesem Zusammenhang stehen auch Fragen des strategischen Handelns und Leitungshandelns in Organisationen.